Gewinner 2022

Jury-Begründungen  –  22. Oktober 2022

Großer Preis der Stadt Tegernsee
„Alpenland“
Robert Schabus, Österreich
Dieser Film von Robert Schabus ist ein Zeitbild der Berge, aber auch ein Bild unserer Zeit. Er zeigt in imposanten Distanzaufnahmen und lakonischen langen Einstellungen wie der Lebensraum von 13 Millionen Menschen in acht Ländern von der Entwicklung unserer Zivilisation gefährdet wird. Die filmische Erzählung verbindet vielfältige Geschichten aus dem gesamten Alpenraum: Eine Kärntner Bergbauernfamilie macht sich Sorgen um das zukünftige Bestehen ihres Hofes. Ein weltberühmtes bayerisches Skigebiet kann ohne Schneekanonen nicht existieren, die jede einzeln den Gegenwert einer Sozialwohnung hat. Ein französischer Arzt sieht die medizinische Versorgung gefährdet, weil immer mehr Hotels in dem Gebirgstal schließen. Ein portugiesischer Bergbahnangestellter in Zermatt hat in 32 Jahren miterlebt, wie der Gletscher 700 Meter zurückgegangen ist. Ein italienischer Bauer wirkt wie ein echter Outsider, weil er lieber bei den Schafen ist und schlecht verdient, als für mehr Geld in der Fabrik zu arbeiten. Muss Nachhaltigkeit gleich Armut sein? Müssen wir auf wirtschaftliches Wachstum verzichten, um die Welt zu retten? Dieser Bergfilm antwortet auf solche Fragen nicht, aber er lässt uns darüber tief nachdenken.

Preis des DAV für den besten Alpinfilm
„Höhenrausch – Die Entwicklung der Höhenmedizin
David Pichler, Nicolai Niessen, Deutschland
Eine der meist gefürchteten Gefahren für Extrembergsteiger:innen lauert in ihnen selber: Es ist der sogenannte Höhenrausch. Der gleichnamige Dokumentarfilm stellt auf eindrückliche und dramaturgisch packende Weise deren Geschichte und Erforschung dar. Fasziniert folgen wir dem Studienleiter und Höhenmediziner Marc Berger, seinem Forschungsteam und den Probanden bei einer Studie auf der höchstgelegenen Margherita Hütte (4554 MüM). Ergänzt wird dieser Erzählstrang durch Interviews mit dem Bergsteiger, Expeditionsarzt und Höhenmediziner Peter Bärtsch, der auf sachliche und verständliche Weise die Höhenkrankheit erläutert, mit seinem Berufskollegen Oswald Oelz, der von Experimenten an seinem eigenen Körper erzählt, die wesentlich zum Erkenntnisgewinn beigetragen haben, und mit Gerlinde Kaltenbrunner, die als aktive und professionelle Extrembergsteigerin über diese Krankheit reflektiert.

Die Jury überzeugt diese Herangehensweise an die komplexe Höhenkrankheit. Durch die gelungenen Verflechtungen der bergsteigerischen und der wissenschaftlichen Perspektive entsteht ein eindrücklicher Sog (Rausch), dem man gespannt folgt.

Bester Film der Kategorie Naturraum Berg
„Yukon, un rêve blanc (Yukon, ein Traum in Weiß)“
Mathieu Le Lay, Frankreich  
»Yukon – Un rêve blanc« ist nach einem klassischen Muster gestrickt: Der Held bricht allein auf, um in der weiten Welt sein Glück zu finden. Bei diesem französischen Film begibt sich der Tierfotograf Jérémie Villet in die kanadische Provinz Yukon, um dort seiner Leidenschaft nachzugehen: Er macht Fotos von an das Leben in Kälte und Schnee angepassten Tieren. Diese Leidenschaft wird angetrieben von so etwas wie einer unstillbaren Sehnsucht nach absoluter Schönheit. Mitten im Winter, in großer Einsamkeit und Kälte sucht Jérémie eine Bergziege. Dieses beinahe unwirkliche Wesen lebt in einer Form von Berg-Natur, die geradezu abstrakt, ja unbelebt wirkt: Alles ist weiß und kalt. Kongenial zu den zauberischen Bildern des Fotografen sind die Bilder im Film. Es ist der Crew um Mathieu Le Lay gelungen, das Glück dieses ungewöhnlichen Helden einzufangen, als er das erhoffte Foto nach vielen Entbehrungen doch noch schießt.

Bester Film Kategorie Lebensraum Berg
Lo Combat“
Gaël Truc, Frankreich
Mit »Lo Combat« erwartet die Zuschauer ein richtiges Schmankerl: Mit den Mitteln des Spielfilms und ironisch eingesetzten Zitaten aus dem Krimi-Genre erzählt der junge italienische Regisseur Gaël Truc die Geschichte einer jungen, noch unerfahrenen Tierärztin, die im dichten Schneetreiben den Weg zu einem Bauernhof sucht, wo eine Kuh Schwierigkeiten beim Kalben hat. Als die Stalltür aufgeht, stehen sich Tradition (Bauer) und Moderne (junge Tierärztin) überrascht gegenüber. Ein langer zweifelnder Blick des Bauern auf die junge Frau beinhaltet das meiste, was über das Verhältnis Mann-Frau, Alt-Jung und Stadt-Land gesagt worden ist. In 15 knappen Minuten werden leichtfüßig und keck archaische Fragen bearbeitet, denn im Stall geht es um Leben und Tod, und dabei auch um das Bewusstsein darüber, wo unsere kulturellen Wurzeln sind – das hat die Jury überzeugt.

Otto-Guggenbichler-Nachwuchspreis 
Royaye yek Asb (The Dream of a Horse)”
Marjan Khosravi, Iran
Die junge Regisseurin Marjan Khosravi führt uns in die archaische iranische Bergwelt, der Heimat der fünfzehnjährigen Bergbauerntochter Shahnaz. Der dokumentarische Kurzfilm handelt von einer jungen Frau, die sich gegen die patriarchalen Strukturen ihrer Familie auflehnt. Sie will studieren und Geschichten schreiben. Ihr Vater hat jedoch andere Vorstellungen: Sie und ihre drei Schwestern sollen möglichst früh verheiratet werden, damit ihre zwei Brüder mehr Grundstücke bekommen.
Der Film, welcher starke Einblicke in das zwar bedrohte, aber noch wilde und freie Leben der Bergbauerntochter und ihren Geschwistern gewährt, endet mit ein paar Zeilen aus einer ihrer selbstgeschriebenen Texte: „Eines Tages schimpfte ein Vater mit seiner Tochter: Sie solle nicht studieren, es sei nutzlos und sie müsse heiraten. So nahm sie ihr Seil und ging den Berg hoch Holz sammeln. Plötzlich sah sie eine Schlange auf dem Weg, das einzige wovor sie sich fürchtet auf dieser Welt. Sie sagte sich: Ich stelle mich der Angst ein für alle Mal.

Bemerkenswert wie der Mikrokosmos in Shahnaz’ Bergen einen Bogen zu der gegenwärtigen Situation im Iran schlägt.

Preis für die bemerkenswerteste Kameraleistung
„Le grand marais – Das große Moor“
Clara Lacombe, Frankreich
Der Film von Clara Lacombe setzt Tiere und Pflanzen mit Sorgfalt und Liebe in Szene. Zugleich scheint der Blick des Objektivs das Interesse mancher Arten auf die Welt der Menschen einzufangen. Kamera, Ton, Musik und Text verschmelzen zu einer organischen Einheit, die eine märchenhafte Atmosphäre schafft –  für Kinder und Erwachsene gleichermaßen spannend. Diese utopische Welt ist heute vielleicht nur in einem Naturschutzgebiet möglich. Die virtuose Kameraführung offenbart ein Modell für die Koexistenz von Mensch und Natur.     

Preis für den besonderen Film
„The Disappearance of Janusz Klarner“
Franciszek Berbeka, Polen
Dieser Film bringt uns auf eine Spur. Er führt uns in den Himalaya, um dort zu ergründen, warum Menschen auf mysteriöse Weise verschwunden sind. Einer davon ist Janusz Klarner, der nach seiner Erstbesteigung der „Nanda Devi East“ viele Jahre später in Warschau seine Wohnung verließ und nie mehr zurückkehrte. Schuld daran kann nur die Rache der Berggöttin sein, deren Frieden die polnischen Bergsteiger damals mit ihrem Gipfelsturm gestört haben. Zu diesem Schluss bringt uns jedenfalls Regisseur Franciszek Berbeka, der frech Filmmaterial und Fakten zusammenfügt – so wie er will. Im Stile einer Stummfilm-Dokumentation ist ein Film herausgekommen, der uns Zuschauer schaudern und spekulieren lässt: über das Ungeheure, das wie eine Berglawine, wie ein Bombenhagel, über einen kommt. Über das Ungeheuer, das uns anschaut und für immer im Gedächtnis bleibt, wenn Menschen verschleppt werden und für immer verschwinden. Der Preis „Besonderer Bergfilm“ geht an „The Disappearance of Janusz Klarner“, weil er uns durch seine experimentelle Art so schön ermuntert, Bergfilm spannend anders zu erzählen.

 Lobende Erwähnung der Jury
„Kjerag Solo“
Alastair Lee, Großbritannien
Alastair Lee gelingt es, die Zuschauer mittels besonderer Kameratechnik an der waghalsigen Solobegehung einer Bigwall in Norwegen geradezu persönlich teilnehmen zu lassen. Der Film zeigt Bilder von höchster Intensität und Kletterszenen aus den außergewöhnlichsten Perspektiven.

Lobende Erwähnung der Jury 
„Inheritance“
Aiymkul Temirbek kyzy, Kirgistan
Inheritance heißt Nachlass. In diesem kurzen Film vermittelt Aiymkul Temirbek in ruhig-beobachtender Erzählform die Wahrung einer (kunst)handwerklichen Tradition in Kirgistan. Wie nebenbei gelingt es dem Film, das Nachdenken über schwindende Traditionen und Veränderungen in den Gesellschaften anzuregen.

Lobende Erwähnung der Jury 
„The Fading Nomads“
Wie Shengze, China
Wohin der Traum von einem modernen Leben führen kann, zeigt der Film „The Fading Nomads“ vom chinesischen Regisseur Wie Shengze. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine mongolische Nomadenfamilie zweimal mit der Kamera zu besuchen. Einmal in einer Zeit, in der die Familie auseinanderbricht und ein Teil der Familie das traditionelle Nomadenleben aufgibt. 18 Jahre später ein zweites Mal, um zu sehen, was aus dem Traum geworden ist. Angekommen in einer Trabantenstadt, zeigt der Film eindrücklich, wie sich Menschen den Zwängen des modernen Lebens unterordnen, auch wenn sie darunter leiden. Vom freien Leben damals in der Jurte im Hochgebirge, in der wilden Natur mit Pferderennen, ist jetzt nur noch ein Traum geblieben. Wie Shengze stellt mit seinem Werk die für alle zivilisierten Gesellschaften entscheidende Frage: Was aufgeben, um was zu gewinnen? Wer kann schon behaupten, diese Frage beträfe nur China? Dass uns jedoch diese so authentische und kritische Momentaufnahme aus einem verschlossenen Land überhaupt erreicht, macht den Film noch wertvoller. Die Jury bedankt ich herzlich für diesen eindrücklichen Lebensraum-Beitrag mit einer lobenden Erwähnung.