Pressetext/Jury                                                                                  02/2021

Bergfilm Tegernsee, 18. Internationales Festival vom 13. – 17. Oktober 2021

 Zusammensetzung der Jury 2021:
Stefan König (Deutschland, u.a. Autor, Experte Bergfilmgeschichte)
Sebastian Marseiler (Südtirol, u.a. Kultur- und Naturfilmer)
Julia Brunner (Österreich, u.a. Kamerafrau, Cutterin, Filmemacherin)
Thijs Horbach (Niederlande, u.a. Direktor des Dutch Mountain Film Festivals)
Titus Arnu (Schweiz/Österreich, u.a. Journalist, Autor) 


Die neue Verantwortung des Bergfilms

In diesem Jahr tagte die Jury nicht wie sonst gemeinsam in Tegernsee, sondern vorab, jeder für sich im Home Office.  Statt angeregten Diskussionen war so konzentriertes Schauen im „stillen Kämmerlein“ angesagt. Wie ist die Jury mit dieser besonderen Situation umgegangen?

„Zusammenhocken, Kaffee trinken, diskutieren – das ist mir allemal lieber“, gesteht Stefan König und spricht damit wohl der gesamten Jury aus dem Herzen. Auch Sebastian Marseiler findet diese „Einsiedlerarbeit“  nicht optimal: „Mir fehlt die Diskussion, der andere Blick“. Aber: „Unter den gegebenen Umständen war es eine gute und praktikable Lösung“, fasst Stefan König zusammen.   

Und so tauchten die fünf in den vergangenen Tagen an ganz verschiedenen Orten gemeinsam ein in die Welt des Bergfilms. Sie ließen sich begeistern von „Kühen, die auf dem Dach tanzen“, weil es den Filmemachern gelingt, einen nüchternen und auch ernüchternden Blick auf eine Realität zu werfen, die im Heimatfernsehen oft verklärt wird. „Das hat mich gefesselt und ist mir einfach im Kopf geblieben“, schildert Julia Brunner. Immerhin, der Film erhielt schließlich eine lobende Erwähnung.

Leer ausging am Ende eine Produktion, die Sebastian Marseiler tief berührte – denn er kann die Situation der Schulkinder in Ladakh selbst so gut nachvollziehen: „Die Dokumentation „Chaddr – Unter uns der Fluss“ ist mir sehr nahe gegangen, weil er mich an meine eigene Biografie erinnert hat: herausgerissen werden aus dem heimatlichen Umfeld, um eine Schule besuchen zu müssen, balancieren zwischen zwei Welten, heimkommen im Wissen, dass man weggehen muss.“ In der Kategorie „Lebensraum Berg“ waren jedoch auffallend viele starke Beiträge, „von denen fast jeder eine Auszeichnung verdient hätte.“ Und ein ähnlicher Film habe ja schließlich auch den Hauptpreis bekommen.

Ein Film, der Stefan König besonders in Erinnerung bleibt ist „Was sie wohl tun wird mit uns?“ von Caroline Fink. Ein sehr kurzer Kunstfilm, der die Einsamkeit in der Corona-Zeit zum Thema hat. „Ich habe das Gefühl, dass viele Filmemacher nachdenklicher geworden sind“, überlegt Stefan König. „Es hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass erst gar nicht jeder Outdoor-Industrie-gesponserte Clip oder jede verbrämte Power-Limo-Werbung ins Programm kam.“ Dass sich schon vor Corona eine Veränderung abgezeichnet hat, glaubt Julia Brunner: „Wo früher extremes Abenteuer war, kann heute viel mehr sein: Menschen, Kulturen, Tiere – Filme die das Thema „Berg“ nur leicht streifen.“ Es brauche nicht immer harte Action, Drama, Tod, schnelle Musik, Adrenalin. Es gehe auch langsam. „Ich denke, dass Menschen ihre Bergabenteuer und Berggeschichten nun mit mehr Respekt vor der Natur und der Zerbrechlichkeit des Lebens auswählen“.

Dass der aktuelle „Run“ auf die Berge schon auch die Bergfilmszene fordere, betont Stefan König: „In manchen Bereichen werden die Berge förmlich überrannt. Wieviel von diesem Massenansturm kann die Natur verkraften, wieviel die Bevölkerung in den Talorten? So kommt schon auch dem Bergfilm eine neue Verantwortung zu.“ Das scheint in der Szene bereits angekommen zu sein, meint Thijs Horbach: „Sie zeigen, dass man Abenteuer, Natur und Berge auch nahe bei seinem Zuhause erleben kann. Und dass es möglich ist, gute Filme zu drehen, ohne um die ganze Welt reisen zu müssen.“

Doch wie hat sich die Jury letztendlich auf die Vergabe der Preise geeinigt? In einer dreistündigen Videokonferenz zeichnete sich bald ab, dass alle fünf Jury-Mitglieder ganz unabhängig voneinander sehr ähnliche Vorentscheidungen getroffen haben. „Es war dann eine lebendige und von gegenseitigem Respekt getragene Bewertungsdiskussion“, resümiert Sebastian Marseiler. Wäre man gemeinsam vor Ort gewesen, „wir hätten wahrscheinlich nur mehr diskutiert“, meint  Julia Brunner. „Das beeinflusst schon, weil man ja zum selben Zeitpunkt denselben Film begutachtet und gleich danach in die Debatte eintritt“, gibt hingegen Stefan König zu bedenken. „Doch in diesem Fall glaube ich, dass letztlich die Preisvergaben so oder so kaum anders ausgefallen wären.“